Chill doch einfach!
Da ist es wieder. Diese Aufforderung zum Schweigen oder zumindest, zum Leiser werden. Und ich denke mir nicht zum ersten Mal: „Chillen“, was soll das überhaupt?
Es scheint auch gar nicht wesentlich zu sein, worum sich das Gespräch hier kreiste – das Thema kann recht banal oder aber auch weltumfassend gewesen sein. Wir sind einfach erneut an einem Punkt gelangt, an dem ich und meine Meinung wohl zu heftig geworden sind. Und daher – sagen wir es ehrlich und unverblümt – unbequem. Meine Leidenschaft für Rhetorik und meine Anteilnahme an dem Für (oder auch dem Wider, je nach Thema) haben eine Intensität erreicht, die zu viel ist. Fragt sich bloß, für wen es zu viel ist.
Ergänzend höre ich:
„Man(n) kann doch nicht mit dir diskutieren, weil du immer gleich emotional wirst.“ Oder manchmal auch, „Wenn du so emotional bist, wirst du schrill. Da lassen wir das Thema lieber.“
Warum kommen diese Kommentare ausgerechnet jetzt daher? Kann ich etwas dafür, dass meine Stimmlage von Natur aus höher ist? Und seit wann ist es schlecht, sich emotional zu engagieren? Diese Aussagen sind mit Absicht gewählt, um mich zu verletzen und klein zu machen und das Gespräch effektiv abzuwürgen. Ob bewusst oder unbewusst.
Ich halte also inne und überlege: Was hätten „wir“ davon, wenn ich chillen würde?
Allein die Aufforderung erscheint mir passiv-aggressiv. Ich empfinde es so, dass von mir hier verlangt wird, mich auf Kommando nicht nur zu mäßigen, sondern meine Einstellung zu unterdrücken. Warum sollte ich das? Mich auf Verlangen zurücknehmen. Aufhören, verbal präsent zu sein. Wem nutzt das? Nicht mir, soviel ist sicher. Liege ich falsch, wenn ich davon ausgehen, dass versucht wird, über mich Kontrolle oder Macht zu gewinnen?
Ich folge dieses Gedankenpfad weiter. Die Gegenseite benutzt diese Aufforderung zum Schweigen hier wohl als offensive Argumentationswaffe. Dabei fällt mir auf, dass das Schweigen an sich auch als Verteidigungslinie benutzt wird. Durch Schweigen entzieht sich die Gegenseite nicht nur unliebsamen Diskussionen, sondern auch der Verantwortung für das, worüber nicht diskutiert wird. Das Schweigen lässt es außerdem noch zu, dass manche Wahrheiten nicht erzählt werden müssen. Grundsätzlich werden dann auch keine Lügen erzählt, wenn ich es mir überlege. Die Abwesenheit von Reden ist eine Vermeidungstaktik.
Es könnte also sein, dass nicht ich zu emotional bin, sondern, dass die Gegenseite zu wenig bereit ist, sich mit der eigenen Emotion auseinander zu setzen. Nein, ich werde nicht chillen. Ich bin nicht bereit, meine Emotionalität zu opfern. Das kommt mir auf Dauer zu teuer. Ich möchte keinen verbalen Krieg führen, ich möchte mich einfach ehrlich austauschen, verstehen und verstanden werden.
Meine Playlist für diesen Beitrag:
Taylor Swift: You need to calm down
Pink: So What